Rückblick: Ich möchte leben
In einer kleinen stimmungsvollen Veranstaltung mit dem Titel “Ich möchte leben” erzählte NInA am 6.3.2013 die Lebensgeschichten von drei Menschen aus Mannheim, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, verschleppt, in Lager gebracht, zu harter Arbeit gezwungen wurden, als Kind mit dem Krieg aufgewachsen waren. Dies wurde in Einstimmung auf ein Konzert des Chors für Geistliche Musik Ludwigshafen “Requiem für einen polnischen Jungen” veranstaltet. Der Bogen wurde von den vertonten Gedichten des Chorwerks zu Erlebnissen von Menschen aus der eigenen Heimat gespannt.
Von Musik eingerahmt, wurden nacheinander die Geschichten von Charlotte, Tadeusz und Käthe erzählt, wobei mit Zitaten bestimmte nachdenkliche oder tragische Aspekte betont wurden. Die Geschichte von Charlotte wurde für NInA von dem Künstlerprojekt “Stolpersteine” beigesteuert. Die Erinnerungen von Tadeusz durfte NInA in den eigenen Aufzeichnungen des Mannheimer Bürgers nachlesen und Käthe durfte das NInA-Team in einem Gespräch selbst kennenlernen.
Charlotte
Charlotte wird 1929 im heutigen Nordrhein-Westfalen geboren und zieht vier Jahre später mit ihrer Familie nach Mannheim. Der Vater betreibt dort eine Mietwaschküche. Was es bedeutet Jüdin zu sein, erlebt Charlotte erstmals als sie in die Schule kommt, in eine rein jüdische Klasse und von nichtjüdischen Kindern ausgegrenzt wird. Noch deutlicher spürbar wird die Ausgrenzung 1939 als der Vater seinen Betrieb aufgeben muss, da es Juden nicht mehr gestattet ist, Geschäfte oder Autos zu besitzen. Die Familie zieht in die Altstadt, in der sie sich mit mehreren anderen jüdischen Familien ein Zimmer teilt. Charlottes ältere Schwester wird vor diesen Lebensumständen bewahrt, indem sie zu Verwandten nach England geschickt wird. Nicht lange später, im Oktober 1940 wird Charlotte mit ihren Eltern von drei Gestapo-Männern abgeholt und in einen Zug verladen. Die Reise geht ins Lager nach Gurs. Dort wird die Familie getrennt und muss unter furchtbaren hygienischen Zuständen und großen Hunger leidend die nächsten Monate hier verbringen. Danach geht es weiter ins Lager nach Rivesaltes, wo Charlotte in einem Kinderhaus untergebracht wird. Eineinhalb Jahre später sieht sie ihre Eltern wieder, mit denen sie gemeinsam zurück nach Gurs gebracht wird. Die Wiedersehensfreude hält nicht lange, denn noch im selben Monat beginnen die Transporte nach Auschwitz. Charlotte wird mit ihren Eltern in einen Viehwagen verladen, als das “Rote Kreuz” kommt und sie aus dme Wagen zieht. Hinter dem “Roten Kreuz” verstecken sich jüdische Mitgleider der französischen Resistance. Sie bringen Charlotte zuerst nach Grenoble, wo sie wieder gesund gepflegt wird und später zu Bekannten in die Schweiz. Dort wartet sie auf ein Wiedersehen mit ihren Eltern nach Kriegsende. Als ihr klar wird, dass es dazu nicht kommen wird, wandert sie aus nach Israel, wo sie den Namen Amira annimmt und seitdem in einem Kibbuz lebt. Amira hat Kinder und Enkelkinder und reist regelmäßig nach Deutschland, um als Zeitzeugin von ihren Erlebnissen zu berichten und die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Tadeusz
Er wächst in recht unbeschwerter Kindheit in Warschau und einem Ort vor den Toren der Hauptstadt Sulejowik auf, bis 1939 die Deutschen Polen angreifen und auch seine Stadt Warschau stark zerstören. Als Siebenjähriger ist er plötzlich damit konfrontiert Bombenangriffe zu erleben, Leichen auf der Straße liegen zu sehen und den Kampf der Soldaten hautnah mitzuerleben. Nach dem Einmarsch der Deutschen erlebt er zum einen Machtdemonstrationen und Willkür der Nationalsozialisten: Menschen verschwinden nach Aufmüpfigkeit, werden auf offener Straße hingerichtet, Fahrgäste einer Straßenbahn werden z.B. gezwungen der Hinrichtung von Landsleuten zuzusehen. Zum anderen ist die Verfolgung der Juden von Anfang an präsent, man darf nicht mit ihnen in Kontakt treten, sie bekommen keine Lebensmittelkarten (und es war von Anfang ein Mangel an Lebenmitteln und deshalb Hunger in Warschau), weiterhin wurde schnell damit begonnen, das Ghetto zu errichten und alle Juden zu zwingen darin zu wohnen. Aus einer Straßenbahn heraus konnte Tadeuzs das Leid sehen, manchmal warfen sie Lebenmittel aus der Straßenbahn, trotzdem gab es viele verhungerte Kinderleichen. Als es 1943 zum Aufstand im Ghetto kommt, sind die Schreie und die Befehle der Exekutionskommandos überall zu hören. Im Sommer 1944 wird Tadeuz von den Deutschen verschleppt und muss fortan als Zangsarbeiter in Lagern bei Kassel und Hofgeismar arbeiten. Das war harte Arbeit unter schwierigen Bedingungen, denn fortwährend wurden von den Amerikaner Bombenangriffe gefolgen. Dazu kam die unmenschliche Behandlung durch die Nazis. Nach der Befreiung durch die Amerikaner wäre er zunächst fast noch in den Krieg nach Japan gezogen, versuchte dann auszuwandern, was nicht klappte, und bewarb sich schlielich für die Wachmannschaften in Mannheim, um hier Lebensmittellager, Krieggefangene zu bewachen und Fahrdienst zu tätigen. Erst als er sich von Mannheim aus, darum bewirbt nach Polen zurück geführt zu werden, erfährt er, dass seine Familie 1944 im Jahr seiner Verschleppung, durch die Nazis ermordet wurde. Als Reaktion auf den Warschauer Aufstand (nicht zu verwechseln mit dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943) hatten die Nazis Massenmorde an der Bevölkerung getätigt, trieben die Menschen in den Häusern zusammen um sie zu erschießen, darunter auch Kinder, Tadeusz´s Schwester war 5 Jahre alt.
Käthe
Sie wuchs in Mannheim-Jungbusch auf, ein Stadtteil, den sie als sehr spannend beschreibt. Abends kamen die Kapitäne von ihren Schiffen, um in einer der vielen Kneipen einzukehren. Sie erinnert sich, wie sie als Kinder an den Holzböden nach der Tanzmusik lauschten, die in den unteren Stockwerken gespielt wurde. Als der Krieg beginnt, ist sie sieben Jahre alt. Ab 1940 wird Mannheim von Bombenangriffen getroffen, bis zum Kriegsende wird es die meistbomabdierte Stadt Baden-Würtembergs sein. Oft flüchten sie in den eigenen Keller von den Bomben, allerdings gab es auch einen großen Bunker an der Stelle, an der heute die Auffahrten zu Kurt-Schumacher-Brücke stehen. Eines Tages gingen eine befreundete Frau mit ihrem Kind, statt wie sonst auch, nicht in den eigenen Keller sonder in diesen großen Bunker. Bei dem folgenden Angriff traf eine Bombe genau diesen Bunker und 170 Menschen fanden ihren Tod. Durch den Krieg ist Käthe fast gar nicht in der Schule und sagt später über ihre Generation, dass “wir so dumm” waren, “wir haben ja praktisch nichts gelernt”. Nach dem Ende des Krieges sehnt sie sich nach Tanz und geht nun regelmäßig mit Ihrer Mutter tanzen, auch in ein Tanzlokal im Amitica-Haus, auch bekannt unter dem Namen Bootshaus am heutigen Fernmeldeturm. Dort lernt sie Tadeusz kennen und beide verlieben sich ineinander. Damals war es überhaupt nicht angesehen, einen “Polen” als Freund zu haben, die meisten ihrer Freundinnen hatten “Amerikaner”. So musste sie von allen Seiten herablassende Asudrücke über sich ergehen lassen. Zwei Jahre später sind sie verheiratet und haben ihren ersten Sohn. Tadeusz Großmutter in Polen kann nicht akeptieren, dass er nach all dem was seiner Familie angetan wurde, eine Deutsch heiratet. Das Paar hat es nicht leicht und wandert schließlich für sechs Jahre nach Australien aus. Dort nimmt es zunächst beschwerliche Verhältnisse in Kauf, Tadeuzs muss hart arbeiten um seiner Familie ein kleines Haus zu finanzieren. Abgesehen davon sind sie auch hier als “Deutsche” und “Neuaustralier” zunnächst nicht überall gut angesehen. In Australien kommen zwei weitere Kinder zu Welt. Schließlich packt die Familie das Heimweh und sie nehmen noch einmal die beschwerliche Schiffsreise zurück nach Mannheim auf sich. Hier lebten sie fortan in Glück und Gesundheit. Tadeusz sagte einmal: “Am Ende siegt die Liebe über den Hass.”